Plat­te machen“ – die (Un)Geschichte der Draußenseiter 

Ein Bericht des Pro­jekt­kur­ses Geschich­te der Q1

 Was woll­ten wir im Pro­jekt­kurs the­ma­tisch bearbeiten?

In Klein­grup­pen haben wir uns ver­schie­de­ne The­men über­legt, die uns als Pro­jekt­kurs gemein­sam inter­es­sie­ren könn­ten. Hier­bei waren die The­men „Gene­ra­tio­nen Woh­nen“ und die 1972 kon­zi­pier­te Plan­stadt „Fin­ken­berg“ unse­re Favo­ri­ten. Zu die­sen The­men infor­mier­ten wir uns über das Inter­net und die Stadt­bi­blio­thek Köln. 

Kurz vor der fina­len Ent­schei­dung zwi­schen die­sen bei­den The­men kamen wir, über „Pau­sen­hof­ge­sprä­che“ auf das Pro­blem der Obdach­lo­sig­keit in Städ­ten und dar­auf, dass es in unse­rer Wahr­neh­mung inzwi­schen mehr Obdach­lo­se gäbe als noch vor ein paar Jahren. 

Im Pro­jekt­kurs grif­fen wir das The­ma auf und bemerk­ten, dass es kaum aus­sa­ge­kräf­ti­ge Zah­len gibt und dass es gene­rell wenig Infor­ma­ti­on zu die­sem The­ma gibt. Nach und nach wur­de uns klar, dass uns das The­ma der Geschich­te des „Nicht – Woh­nens“ inhalt­lich viel mehr inter­es­sier­te als die bei­den ande­ren Themen. 

Was war unse­re Motivation?

Über­all um uns her­um sehen wir Men­schen, die Pfand­fla­schen sam­meln, die bet­teln, die in Haus­ein­gän­gen schla­fen, deren zel­te am Weges­rand ste­hen. Und wenn wir ganz ehr­lich sind, dann ver­sucht man, oft weg­zu­schau­en, nicht hin­zu­schau­en. Aber wie kann das sein, dass es so vie­le Men­schen in einem Sozi­al­staat gibt, die so leben? Gab es das Phä­no­men der Obdach­lo­sig­keit schon immer? Es betrifft und begeg­net uns in unse­rem all­täg­li­chen Leben, inso­fern war hier eine ste­ti­ge Moti­va­ti­on gegeben. 

Was waren unse­re Stolpersteine?

Um uns einen Über­blick zu ver­schaf­fen, haben wir recher­chiert, was es an Lite­ra­tur zu die­sem The­ma gibt; his­to­risch gibt es Lite­ra­tur; jedoch fiel uns immer mehr auf, dass es erschre­ckend wenig aktu­el­le vali­de Daten zu die­sem The­ma gibt. In Ber­lin gab es eine frei­wil­li­ge Obdach­lo­sen­zäh­lung, um erst­mals kon­kre­te Zah­len zu haben – das war im Jahr 2020! Es gab vie­le Über­ra­schun­gen wäh­rend unse­rer Arbeit, aber die­ser Fakt war scho­ckie­rend. In einem Land, in dem alles orga­ni­siert ist, in dem wenig dem Zufall über­las­sen wird, in dem es doch eigent­lich allen gut gehen müss­te – in die­sem Land weiß man über eine gan­ze Grup­pe Men­schen so gut wie gar nichts! 

Da wir eine Gesamt­schu­le im Auf­bau aus der Nähe von Köln sind, haben wir uns inhalt­lich für die Ent­wick­lung bzw. Geschich­te der Obdach­lo­sig­keit in Köln inter­es­siert. Köln ist eine Mil­lio­nen Stadt, in der geschätzt 6000 Men­schen obdach­los oder woh­nungs­los sind. Es gibt ein För­der­pro­gramm der Stadt Köln mit einem Volu­men von 1 Mil­li­on Euro, das bis zum 31. März 2023 befris­tet ist und Men­schen nied­rig­schwel­lig Ange­bo­te ver­mit­teln soll. 

Jedoch wer hilft die­sen Men­schen? Wie funk­tio­niert die­se Hil­fe? Und genau hier, nach vie­len Gesprä­chen, Recher­chen, Über­le­gun­gen kamen wir auf „unser“ kon­kre­tes, his­to­ri­sches Thema: 

Der Johan­nes­bund e.V.“ ist ein Ver­ein, der sich, unter ande­rem, in Köln um Woh­nungs­lo­se und Obdach­lo­se küm­mert. Die­ser Bund, den es seit 1871 gibt, errich­te­te bereits 1949 in Köln ein Wohn- und Hil­fe­an­ge­bot für die bedürf­ti­gen Men­schen. In der Anno­st­ra­ße in Köln gibt es inzwi­schen ein gro­ßes Are­al, in dem Obdach­lo­se und Woh­nungs­lo­se über­nach­ten dür­fen. Den Begriff „Anno­st­ra­ße“ kennt man in Köln, jeder weiß, was damit gemeint ist, aber wie es oft der Fall ist, weiß kei­ner, um was es sich eigent­lich handelt …

Wo und wie haben wir recherchiert?

Neben den im Anhang ange­führ­ten theo­re­ti­schen Grund­la­gen über die Geschich­te der Obdach­lo­sig­keit inter­es­sier­te uns eigent­lich die pri­mä­re Quel­le am meis­ten: Das Anno­haus und sei­ne Bewoh­ner. Wir recher­chier­ten nach den Kon­takt­da­ten und führ­ten Tele­fo­na­te. Unser Ansprech­part­ner war Herr Tho­re Klahr, der als Sozi­al­ar­bei­ter seit vie­len Jah­ren in die­ser Ein­rich­tung arbei­tet. Durch ein per­sön­li­ches Erleb­nis hat er sich früh dazu ent­schie­den, in die­ser Rich­tung sei­nen Schwer­punkt zu setzen. 

Wir ver­ein­bar­ten einen Ter­min vor Ort mit Herrn Klahr; wir woll­ten dort Fra­gen stel­len und drehen. 

All die­se Geneh­mi­gun­gen und Fra­gen bedurf­ten einer inten­si­ven Vor­be­rei­tungs­zeit. Das Frus­tra­ne und Über­ra­schen­de an der Recher­che war eigent­lich, dass man nicht rich­tig recher­chie­ren kann; ein­fach, weil es kei­ne rich­ti­gen Daten zu die­sem The­ma gibt. Wir tele­fo­nier­ten mit der Stadt Köln und ver­schie­de­nen Ein­rich­tun­gen, beka­men vie­le Ein­drü­cke geschil­dert, aber kaum „belast­ba­re“ Informationen. 

Was haben wir vor Ort erfah­ren und erlebt?

Der Moment der Exkur­si­on, als wir in die Hof­ein­trat lie­fen, war beein­dru­ckend. Wir waren alle ange­spannt, unru­hig, wuss­ten nicht, was uns erwar­tet. Wir fühl­ten uns unsi­cher und wie Fremd­kör­per in einer Par­al­lel­welt. Begrüßt wur­den wir von einem Woh­nungs- oder Obdach­lo­sen, der uns betrun­ken anbrüll­te, was wir hier woll­ten. Mit einem mul­mi­gen Gefühl war­te­ten wir auf Herrn Klahr, der uns durch das kom­plet­te Are­al führte. 

Herr Klahr erzähl­te uns zu den ein­zel­nen Abtei­lun­gen vie­le span­nen­de Fak­ten, er erklär­te uns den Unter­schied von woh­nungs­los und obdach­los, er stell­te uns Bewoh­ner vor, mit denen wir spra­chen und die wir wäh­rend der Inter­views fil­men durften. 

Er erklär­te uns, wie die Rechts­la­ge in Deutsch­land aus­sieht, war­um es schwie­rig ist für Men­schen zwi­schen 18 – 21 Jah­ren, wel­che Ent­wick­lun­gen es in den letz­ten Jah­ren gege­ben hat … 

Es waren vie­le Infor­ma­tio­nen und noch mehr Emo­tio­nen und Reflek­tio­nen an die­sem Tag und in die­sen Wochen drum­her­um, die sehr inten­siv waren. 

Nach der eigent­li­chen Exkur­si­on gin­gen wir zum nahe gele­ge­nen Rhein­ufer, um dar­über zu spre­chen, was an dem Tag pas­siert ist, was für Gedan­ken und Gefüh­le wir haben, um alles ein biss­chen „in uns“ zu sortieren. 

Was haben wir gelernt? 

Dass es Men­schen gibt, die nachts Angst haben müs­sen, dass sie miss­han­delt wer­den. Dass es Men­schen gibt, die das Gefühl, einen eige­nen Bereich zu haben, schon ver­ges­sen hat­ten. Dass es Men­schen gibt, die sich wün­schen, dass man sie sieht, dass man fragt, wie es ihnen geht. Dass es Men­schen gibt, die durch Pech und unglück­li­che Umstän­de alles ver­lo­ren haben, sogar ihre Per­spek­ti­ve. Dass häu­fig Par­al­le­len in den Bio­gra­fien zu fin­den sind. Dass wir ein­fach beim Umher­lau­fen nach unten schau­en und fra­gen wie es geht; ein freund­li­ches Wort anbie­ten, Bröt­chen kau­fen, auf­merk­sa­mer sind, mit denen, die nicht so viel Glück hat­ten im Leben. 

Wir haben gelernt, dass die Geschich­te von Woh­nungs- und Obdach­lo­sig­keit eine lan­ge Geschich­te ist, die aber immer in einer klei­nen Ecke bleibt, so als ob man weder die Men­schen noch die Geschich­te sehen wol­len wür­de. Wir haben gelernt, dass es Men­schen vor Ort gibt, die die­sen Bewoh­nern Wür­de und Hil­fe geben, dass es aber wenig Hil­fe sei­tens staat­li­cher Instan­zen gibt. Es erstaunt uns, dass die­ser Bereich so unstruk­tu­riert zu sein scheint, dass man Frei­wil­li­ge bit­tet, offi­zi­el­le Zah­len zu erheben. 

Wir hof­fen, dass die Geschich­te hier eigent­lich erst beginnt und dass man in eini­gen Jahr­zehn­ten erstaunt dar­über sein wird, dass Struk­tu­ren und ein „Sicht­bar Wer­den“ nicht schon viel frü­her statt­ge­fun­den haben – in Köln zum Bei­spiel seit 1949.